Tierzuchtkongress in Berlin – ein voller Erfolg
Am 6. und 7. Oktober tagte das Who is Who der Tierzuchtszene in Berlin. Der vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) organisierte Kongress zur Zucht und Haltung von Rind und Schwein fand als Präsenzveranstaltung im Steigenberger Hotel statt und bot eine breite Palette interessanter und aktueller Themen der Branche. Kooperationsveranstalter waren die Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde e.V. (DGfZ), der Bundesverband Rind und Schwein e.V. (BRS) und die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft e.V. (DVG).
Der Kongress bot die ausgezeichnete Gelegenheit, die Grundlagen der Tierzucht und Tierhaltung mit den aktuellen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen auf den Prüfstand zu stellen und mit Experten aus Wissenschaft und Praxis zu diskutieren. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse sowie praktische Erfahrungen konnten so bewertet und neue Ziele formuliert werden.
Besonders das ambivalente Verhalten der Gesellschaft zur Tierzucht und wie die Branche damit umgehen kann, wurde heiß diskutiert. Schlagworte waren hier verbesserte Kommunikation und Transparenz, um möglichen Vorurteilen und Unkenntnis entgegen zu wirken. Unstrittig war, dass die Naturentfremdung der Bevölkerung immer weiter zunimmt, woraus sich manchmal unrealistische Forderungen für die Tierhaltung ergeben. Hier sind neben der eigenen Branchensprache und Öffentlichkeitsarbeit auch politische Vorgaben gefordert. Denn Planungssicherheit ist das A und O für die Standortsicherung Deutschlands. Gerade Corona hat mehr als deutlich gezeigt, dass die Selbstversorgung eines Landes von essentieller Bedeutung ist, nicht nur was medizinische Güter anbelangt, sondern vor allem in Hinblick auf die Ernährungssicherung. Das Thema Regionalität versus internationaler Handel in einem globalisierten Wirtschaftssystem führte zu vielen Fragen und Diskussionen. Das Fazit führender Wissenschaftler dazu lautete, dass eine regionale Vermarktung der Produkte durchaus machbar und zielführend ist. Dies zeigen auch viele Aktivitäten der Bundesländer und Marketinggesellschaften, die ihre Spezialitäten bereits seit Jahren eindrucksvoll in Szene setzen und mit der gesamten Wertschöpfungskette kooperieren. Auf Zuchtebene würde eine Regionalisierung allerdings nicht funktionieren und man sollte sich mehr auf die nationale Verankerung der Zuchtunternehmen konzentrieren, so der Tenor der Experten.
Zu einem spannenden Ritt durch die Wissenschaft lud der Abteilungsleiter des BMEL, Herr Dr. Burkhard Schmied, gleich zu Beginn der Veranstaltung ein. Er stellte die Zukunftskommission Landwirtschaft vor und präsentierte ihre Ergebnisse die im Juni dieses Jahres veröffentlicht wurden: (https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/abschlussbericht-zukunftskommission-landwirtschaft.pdf?__blob=publicationFile&v=6 Abschlussbericht). Der Kommission der Bundesregierung unter Vorsitz von Prof. Dr. Peter Strohschneider gehörten 31 Mitglieder aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz, Wirtschaft und Verbraucher sowie aus der Wissenschaft an. Ziel war, Vorschläge für einen Transformationsprozess zu erarbeiten, der zu einer ökologisch und ökonomisch tragfähigen sowie sozial verträglichen Landwirtschaft in Deutschland führt. Besonders hervorgehoben wurde der vorgenommene Perspektivwechsel der Akteure in der Arbeitsgruppe als Voraussetzung zur erfolgreichen Kommunikation und Lösungsfindung. Der Umbau sei eine gesamt-gesellschaftliche Aufgabe und sollte nach dem Prinzip der Lastenverteilung erfolgen, so die Kommission. Der finanzielle Rahmen für den Umbau wird auf 7-11 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Die Ergebnisse der Kommission sind auf sehr große Resonanz gestoßen und sollen als Meilensteine für die nationale und europäische Ausrichtung der Agrarpolitik dienen. Teilweise nicht ganz schlüssige Ansätze wie zum Beispiel Regionalrat – Globalität gilt es noch zu diskutieren.
Besonders beeindruckend waren die sich anschließenden Beiträge, die die derzeitige Marktsituation für Zuchtunternehmen und den Absatz ihrer Produkte beschrieben. Diese zeigt sich für die Rinder- und Schweinezuchtunternehmen sehr unterschiedlich und teilweise dramatisch. Dr. Nora Hammer, Geschäftsführerin des BRS, gab einen Überblick über die Veränderung der Leistungen der Rinder- und Schweinezucht seit dem 19. Jahrhundert und verwies auf die sich ständig ändernde Gewichtung der Merkmale im Gesamtzuchtwert zugunsten von Gesundheit und Robustheit seit den 90er Jahren. Sie resümierte, dass auch eine Leistungssteigerung für eine globale Ernährungssicherung weiterhin unerlässlich sei. Daher sei eine ständige Weiterentwicklung der Züchtung und die Offenheit gegenüber neuen Technologien erforderlich. Biopatente könnten sich dabei als Hemmnisse herausstellen.
Mit teils provokanten Thesen zeigte Prof. Kay-Uwe Götz in seinem Vortrag auf, wie die Tierzucht mit den gesellschaftlichen Ansprüchen in Einklang zu bringen ist. Zu dieser Thematik hatten sich kürzlich fünf Tierzuchtwissenschaftler in einem Positionspapier in der Fachzeitschrift Züchtungskunde
geäußert und mit der Branche die Vorschläge diskutiert (Positionspapier). Götz schlägt vor, die Tierbestände und Umschlagzahlen zu verringern. Verbleibende Tiere sollten die Möglichkeit haben, das Außenklima zu genießen. Das Wachstum der Betriebe könnte man durch Quoten begrenzen allerdings unter Berücksichtigung des Verzehrs tierischer Produkte und der regionalen Belastung. Um die Akzeptanz der Betriebe in der Bevölkerung zu steigern, müsse die Tierhaltung in ein Landnutzungssystem eingebunden und nicht isoliert betrachtet werden. Er plädierte für geschlossene Nährstoffkreisläufe und Grünlanderhalt.
Die ersten Vorträge der Tagung zeigten deutlich, wie schwierig es ist und sein wird, auf der einen Seite den Ansprüchen der Gesellschaft und einer tierwohlgerechten Tierhaltung gerecht zu werden und auf der anderen Seite gleichzeitig im europäischen und globalen Raum wirtschaftlich konkurrenzfähig zu bleiben.
Der Klimawandel und der Einfluss der Landwirtschaft sowie die Möglichkeiten zur Reduktion der Treibhausgase waren ein weiterer Schwerpunkt der sich durch alle zwei Vortragstage zog. Forschungsprojekte und -ergebnisse zur Methanproduktion von Rindern wurden vorgestellt. Futtereffizienz und deren Einfluss auf das Klima wurden diskutiert. Gerade hier liegt eine bedeutende Stärke des Standortes Deutschland, die in der Öffentlichkeit nahezu keine Beachtung findet. Deutsche Landwirte produzieren hochwertige Lebensmittel mit sehr viel weniger Emissionen und weniger Ressourcen als die meisten anderen Länder. Eine Verlagerung der Fleischerzeugung ins Ausland ist unter diesem Gesichtspunkt ökologisch fatal.
Zu den viel diskutierten Themen wie Leistungssteigerungen bei Holstein Kühen sowie den weiteren Umgang mit deren männlichen Kälbern zeigten zwei Statements interessante Lösungswege auf. So wurde zum einen die Konkurrenzfähigkeit der Doppelnutzungsrasse Fleckvieh dargestellt, zum andern die Möglichkeit des Einsatzes von Bullen der Fleischrinderrassen bei Milchrindern bzw. der Einsatz von gesextem Sperma propagiert, um der angespannten Marktlage bei Kälbern der Milchrinderrassen sowie deren Preisverfall entgegen zu wirken. Auch verlängerte Zwischenkalbe- und Laktationszeiten wurden diskutiert. Frühere Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass eine Milchkuh erst in der 4.-6. Laktation ihr Leistungshoch erreicht. Ein zu frühes Ersetzen älterer Kühe durch junge Kühe mache daher oft aus betriebswirtschaftlicher Sicht keinen Sinn.
Sechs Themenblöcke mit hochkarätigen Referenten boten viel Stoff für Diskussionen.
Block I: Quo vadis Tierzucht?
Block 2: Umwelt — Klima — Mikrobiom
Block 3: Brisante Themen zum Rind
Block 4: Brisante Themen zum Schwein
Block 5: Techniken in der Reproduktionsbiologie
Block 6: Digitalisierung und Datenflut
Die Bedeutung der weltweiten Tierhaltung wurde in jedem Vortrag sichtbar. Einig waren sich Redner und Auditorium, dass die Vorteile der Tierhaltung in die Gesellschaft zielgruppenorientiert kommuniziert werden müssen. So tragen Wiederkäuer dazu bei, für den Menschen ungenießbare Pflanzen in hochverwertbare tierische Produkte umzuwandeln. Gleichzeitig wird die Kulturlandschaft gepflegt und die Biodiversität erhalten, die auch den Menschen zur Erholung dient.
Am Ende der Vorträge wurde Bilanz gezogen und Impulse zur Weiterentwicklung der Zucht landwirtschaftlicher Nutztiere mit dem Auditorium diskutiert. Neben besserer Kommunikation und Transparenz, wurden die Erfordernisse der Interdisziplinarität, sowie Bildung und Beratung besonders hervorgehoben. Über den Tellerrand hinaus zu schauen und andere Fachdisziplinen wie zum Beispiel Ethiker in den Transformationsprozess einzubinden war nur einer der vielen Denkanstöße, die das Auditorium mitnahm. Abschließend wurde die Erwartung formuliert, dass DGfZ, BRS und DVG sich in diesem Transformationsprozess einbringen sollten, damit die Vorgaben nicht allein von den politisch Handelnden kommen.
Ein ausführlicherer Bericht wird in der nächsten Züchtungskunde erscheinen.
Alle Vorträge wurden gefilmt und werden nach einer Bearbeitung in eine Mediathek gestellt.
Quelle: Text und Fotos DGfZ