Anhörung: Experten bewerten geplantes Verbot des Kükentötens
Eine Mehrheit der Sachverständigen begrüßt die Gesetzesinitiative der Bundesregierung (19/27630) für ein Verbot des Kükentötens ab Januar 2022. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am Montag unter der Leitung von Alois Gerig (CDU) befürworteten die Experten die Stoßrichtung des Gesetzentwurfs. Mehrheitlich kritisch allerdings beurteilten sie die Umsetzung des ab 2024 ebenfalls geplanten Verbots von Eingriffen an einem Hühnerei und des Abbruchs des Brutvorgangs ab dem siebten Bebrütungstag. Es fehle an praxistauglichen technischen Lösungen, die eine Geschlechtsbestimmung vor dem siebten Bebrütungstag ermöglichen.
Grundlage der Anhörung waren neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung auch ein Antrag der Fraktion Die Linke (19/28773) für ein Verbot des Tötens von Küken allein aus wirtschaftlichen Gründen
sowie ein Antrag der FDP-Fraktion (19/27816), mit dem sich diese für ein europaweites Verbot statt nationaler Alleingänge
ausspricht.
Ludger Breloh, Geschäftsführer des Startups Seleggt, plädierte in seiner Stellungnahme für eine Änderung der geplanten Regelung. Es gebe aktuell kein praxis- und massentaugliches
Verfahren für eine Geschlechtsbestimmung im Brutei vor dem siebten Tag. Er selbst habe mit seinem Unternehmen zwar eine solche Technologie entwickelt. Bislang sei eine Geschlechtsbestimmung damit aber frühestens erst ab dem neunten Tag möglich. Bis zum geplanten Inkrafttreten der Regelung ab 2024 sei nicht mit einer früheren Bestimmungsmöglichkeit - auch nicht von anderen Anbietern - zu rechnen. Zudem sei fraglich, ob die vorgesehene Regelung überhaupt sinnvoll und zielführend
sei, so der Agrarökonom: Es gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg für ein Schmerzempfinden eines Hühnerembryos am siebten Bruttag.
Dominik Fischer, Kurator beim Zoo Wuppertal, unterstützte grundsätzlich das geplante Verbot des Kükentötens. Eine Tötung von Tieren aus rein ökonomischen Gründen
dürfe nicht sein, stellte der Tierarzt und Vogelexperte klar. Gleichzeitig sprach er sich für Ausnahmen vom Tötungsverbot aus und betonte die Bedeutung von Eintagsküken als Nahrung von vogelfressenden Tierarten. Ob Greifvögel, Reptilien, Amphibien oder Katzen - jeder Halter sei nach dem Tierschutzgesetz verpflichtet, Tiere artgerecht zu halten und zu füttern. Eben deshalb könnten etwa Zoos, Falknereien, Tierparks, Wildparks oder Tierkliniken nicht einfach auf Küken verzichten. Sie seien als Nahrung gut verdaulich, würden sehr gut akzeptiert. Ihre Nährstoffzusammensetzung sei zudem hervorragend und ihre Verfütterung besonders hygienisch.
Christiane Keppler von der Gallicon Geflügelberatung mahnte dringenden Regelungsbedarf für die Bruderhahnaufzucht an. Da ausreichend praxistaugliche technische Lösungen für die In-Ovo-Geschlechtsbestimmung fehlten, werde mit dem Inkrafttreten des Verbots des Kükentötens ab 2022 die Aufzucht eines großen Teils der Bruderhähne in Deutschland nötig. Hierfür fehlten aber sowohl die rechtlichen Vorgaben als auch die erforderlichen Stallkapazitäten, so die Expertin. Um zu verhindern, dass die Bruderhahnaufzucht ins Ausland verlagert werde, forderte Keppler mehr Förderung für die Betriebe - aber auch klare Qualitätsstandards und eine verbindliche Packungskennzeichnungen bezüglich Herkunft und Aufzucht.
Rudolf Preisinger, Geschäftsführer des Geflügelzucht-Unternehmens Lohmann, zeigte zwar Verständnis dafür, dass Politik und Verbraucher in sogenannten Zweinutzungshühner die Lösung für die diversen Probleme der Hochleistungszucht sähen. Er gab jedoch zu bedenken, dass solche Sorten in jeder Hinsicht einen Kompromiss darstellten: Jeder Züchter wird erhebliche Probleme haben, sowohl die Muskelfülle als auch die Eileistung zu verbessern.
Zweinutzungshühner legten 25 Prozent weniger Eier, die Hähne brauchten im Schnitt drei Wochen länger für das gleiche Körpergewicht. Sie hätten zudem weniger Muskelfülle im Brustbereich. Damit seien sie nur bedingt vermarktungsfähig. Das zeigten Beispiele aus Österreich und der Schweiz, wo die Zucht von Zweinutzungshühnern ein Nischendasein
friste, so der Agraringenieur und Genetiker.
Inke Drossé vom Deutschen Tierschutzbund unterstrich in ihrer Stellungnahme, dass das Verbot des Kükentötens nach dem Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts 2019 längst überfällig sei. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei aus Sicht des Tierschutzes jedoch unzureichend: Das Töten der Embryonen im Ei nach dem siebten Bruttag könne auch übergangsweise
nicht akzeptiert werden, kritisierte die Biologin. Das Schmerzempfinden der Embryonen könne zu diesem Zeitpunkt nicht sicher ausgeschlossenen werden. Daher bestehe hier auch kein Unterschied zum Töten der Küken. Auch gegen Ausnahmen, um die Verfütterung von Küken an andere Tiere zu ermöglichen, sprach sich die Tierschutzexpertin klar aus: Damit könnte das Verbot umgangen - oder sogar völlig ausgehebelt werden.
Eine bedarfsgerechte Fütterung sei anderweitig möglich, sagte Drossé und widersprach damit dem Sachverständigen Fischer.
Thomas Bartels vom Friedrich-Löffler-Institut erklärte, es sei nach gegenwärtigem Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht eindeutig zu bestimmen, an welchem Bebrütungstag bei Hühnerembryonen die Fähigkeit zum Empfinden von Schmerz vorhanden sei. Sicher sei nur, dass der Hühnerembryo vor dem siebten Tag noch nicht zur Nozizeption befähigt sei, so der Experte. Danach entwickle sich die Fähigkeit kontinuierlich, ohne dass konkrete Zeitpunkte des Einsetzens des Schmerzempfindens genannt werden könnten.
Edmund Koch, Professor an der Technischen Universität Dresden, informierte über aktuell laufende Forschungen zur spektroskopischen In-Ovo-Geschlechtsbestimmung. Dieses von ihm mitentwickelte Verfahren zeige, dass das Geschlecht von Küken durch optische Methoden bereits ab dem dritten Tag ermittelt werden könne. Automatisierung und großtechnische Umsetzung des Verfahrens jedoch hätten sich in der Vergangenheit als schwierig erwiesen, räumte Koch ein. Aktuell laufe eine neue Versuchsreihe, die bis Juni 2021 abgeschlossen werde. Die Ergebnisse seien erfolgversprechend. Damit gebe es die Aussicht auf eine preiswerte, industriell umsetzbare Methode
zur Geschlechtsbestimmung zwischen dem dritten und fünften Bruttag, so der Experte.
Henner Schönecke, Vizepräsident des Zentralverbands der deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG), forderte eine EU-weite Regelung. Ein rein nationales Verbot des Kükentötens werde gerade kleinere Brütereien hart treffen, warnte er. Für große, international agierende Betriebe schaffe die geplante Regelung hingegen den Anreiz, ihr Brutgeschäft ins Ausland zu verlagern. Der ZDG-Vertreter kritisierte zudem, dass eine Folgenabschätzung zu den Auswirkungen der Gesetzesinitiative auf die deutschen Brütereien bislang nicht vorliege.
Mit dem Gesetz will die Regierung das Verbot des Tötens von Hühnerküken der Art Gallus Gallus in das Tierschutzgesetz aufnehmen. Das Verbot soll auch die Zucht- und Vermehrungstiere betreffen. Ebenso verboten werden sollen Eingriffe an einem Hühnerei und der Abbruch des Brutvorgangs ab dem siebten Bebrütungstag, die bei oder nach der Anwendung von Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei durchgeführt werden und den Tod des Hühnerembryos verursachen.
Vorgesehen ist ein Inkrafttreten in Stufen: Das Verbot für die Tötung von Hühnerküken soll vom 1. Januar 2022 an gelten, das Verbot für die Eingriffe am Hühnerei und für den Abbruch des Brutvorgangs erst vom 1. Januar 2024 an. Damit will die Regierung der Branche Zeit gegeben, sich an die neue Rechtslage anzupassen.
Die FDP will das Kükentöten europaweit beenden
und stellt sich gegen einen nationalen Alleingang
in dieser Frage. Die Liberalen fordern in ihrem Antrag (19/27816) die Bundesregierung auf, die Schaffung eines Rechtsrahmens für den Europäischen Wirtschaftsraum auf EU-Ebene voranzutreiben, der unter anderem ein Verbot des Kükentötens sowie des Tötens von Embryonen im Ei möglichst zeitnah am Brutbeginn verbindlich festschreibt
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Kükentöten wirklich beenden - Aufzucht männlicher Küken fördern
lautet der Titel des Antrags der Fraktion Die Linke (19/28773). Darin fordert die Fraktion die Bundesregierung dazu auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der unter anderem das Töten von Küken allein aus wirtschaftlichen Gründen zu einem Straftatbestand nach Paragraf 17 Ziffer 1 Tierschutzgesetz macht sowie tiergerechte Mindestanforderungen für Aufzucht, Haltung und Transport von sogenannten Bruderhähnen und Zweinutzungshühnern festlegt.
Quelle: Dt. Bundestag