Fachtagung zur Genomanalyse im Forum der neuen Niedersachsenhalle
Am Dienstag, den 24. Mai 2011, fand unter dem Thema Stand und Perspektiven der Genomischen Selektion beim Rind
die erste große Fachtagung im neuen Forum der umgebauten Niedersachsenhalle statt. Die fast 200 Teilnehmer waren überwiegend Rinderzuchtexperten und Wissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum. Es waren aber auch viele Vertreter von anderen Nutztierarten anwesend. Die Genomische Selektion bezeichnet die züchterische Auswahl auf Basis des genetischen Kodes eines Tieres. Veranstalter und Organisator waren die Vereinigten Informationssysteme Tierhaltung (vit), Verden, in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde (DGfZ) und dem Deutschen Holstein Verband (DHV), beide aus Bonn.
Vit Verden gehört seit langem zu den international führenden Institutionen für die Berechnung von Zuchtwerten für Rinder und andere Nutztiere. Auch in der neuen Methodik der Berechnung von Zuchtwerten direkt auf Grundlage des genetischen Kodes eines Tieres anstatt seiner gemessenen Leistung bzw. der Leistung von Töchtern bei Bullen ist vit führend. Grundlage der neuen Technologie ist die Entschlüsselung des drei Milliarden Basenpaare umfassenden genetischen Kodes des Rindes. 50.000 repräsentative Stellen (SNP) hiervon können mit modernster Labortechnik vergleichsweise preiswert bestimmt werden. Aus diesen Informationen wird dann vom vit mittels aufwändiger statistischer Verfahren der genomische Zuchtwert berechnet. Dabei kooperiert vit im Rahmen des Projektes EuroGenomics mit Partnern aus Frankreich, den Niederlanden und Skandinavien.
In insgesamt neun Fachvorträgen wurden nicht nur die theoretisch-wissenschaftlichen Grundlagen und deren aktuelle Weiterentwicklungen erörtert. Breiten Raum nahmen die ersten praktischen Erfahrungen mit dem Einsatz der neuen Zuchttechnik im Holsteinbereich und seit neuestem auch beim Fleckvieh ein. Auch die Braunviehzucht steht kurz vor der Einführung der Genomischen Selektion. Es wurde deutlich, dass die Holsteinzucht nicht nur einen zeitlichen Vorsprung mit der Einführung offizieller genomischer Zuchtwerte im August letzten Jahres hat, sondern auch strukturelle Vorteile. Auch dank der intensiven Zusammenarbeit mit den EuroGenomics-Partnern verfügt die deutsche Holsteinzucht inzwischen über die international größte Lernstichprobe mit fast 20.000 töchtergeprüften Holsteinbullen. Die Größe und Qualität der Lernstichprobe bestimmt entscheidend die Sicherheit genomischer Zuchtwerte, denn an diesen sicher geprüften Bullen werden die Formeln für genomische Zuchtwerte abgeleitet d.h. wird die Beziehung zwischen genetischem Muster und tatsächlicher Vererbung gelernt
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Die Genomische Selektion gilt als bahnbrechend, da sie das bisherige Zuchtsystem bei den Milchrindern grundlegend verändert. Seit der breiten Einführung der künstlichen Besamung vor ca. 60 Jahren werden nur noch wenige, herausragende Bullen für die Erzeugung der nächsten Generation benötigt. Um die Spitzenbullen herauszufiltern mussten bisher zunächst je 100 Töchter von erfolgversprechenden Kandidaten d.h. Testbullen erzeugt werden. Erst auf Basis der Leistungen der Test-Töchter konnten nach ca. 5 Jahren Wartezeit Zuchtwerte geschätzt werden und die Spitzenvererber selektiert werden, während 90-95% der Wartebullen geschlachtet wurden. Dieses lange und aufwändige System machte konventionelle Besamungszuchtprogramme sehr teuer. Die immer stärkere Bedeutung der
funktionalen Merkmale wie Nutzungsdauer und Fruchtbarkeit verteuerte die Programme sogar, da diese Informationen später als für die Milchleistung anfallen und für sichere Zuchtwerte mehr Töchter je Testbulle erforderlich sind. Jetzt kann der züchterische Wert für alle Merkmale direkt aus dem individuellen genetischen Kode jedes Tieres, also auch des Bullen, berechnet werden und dies bereits unmittelbar nach der Geburt. Des Weiteren kann aus z.B. 100 jungen Bullenkälbern über die vergleichsweise preiswerte genetische Untersuchung der künftige Spitzenbulle bestimmt werden. Vorgestellte Modellrechnungen zeigten, dass eine Verdoppelung des Zuchtfortschrittes bei gleichzeitig deutlich geringeren Kosten möglich ist.
Über die in den Holstein-Zuchtorganisationen bereits erfolgten Änderungen und die erwartete weitere Entwicklung wurde von den Geschäftsführern der Weser-Ems Union sowie der Masterrind berichtet. Die entscheidende Größe ist dabei die Akzeptanz der genomischen Zuchtwerte bzw. der nur-genomisch geprüften jungen Bullen durch die Milchviehhalter. Diese müssen sich noch daran gewöhnen nur genetisch geprüfte junge Spitzenbullen einzusetzen, von denen es noch keine Töchter mit nachgewiesenen Leistungen gibt und von deren Exterieurqualitäten sich die Milchviehhalter z.B. mit eigenen Augen überzeugen können.
Einig zeigten sich alle Fachleute, dass sich die Sicherheit der genomischen Zuchtwerte weiter erhöhen wird. Die genomische Selektion wird Grundlage der künftigen Milchrinderzuchtprogramme sein und den Zuchtfortschritt gerade auch in den Gesundheitsmerkmalen deutlich verbessern. Damit dies auch tatsächlich schnell Realität wird, ist die intensive Kommunikation mit den Landwirten über die Hintergründe und Chancen der genomischen Selektion eine gemeinsame Aufgabe. Die Tagung sollte auch hierzu einen wichtigen Beitrag liefern, u.a. da viele in den Gremien der Zuchtorganisationen als Ehrenamtliche mitentscheidende Landwirte, die gleichzeitig Multiplikatoren für ihre Berufskollegen sind, teilnahmen.
Für weitere Informationen und Fotos der Veranstaltung bitte Email an info@vit.de Stichwort Genomanalyse-Tagung (vit)