Sächsischer Schweinetag im Oktober 2010 in Groitzsch
Im Rahmen des Sächsischen Schweinetages im Oktober 2010 in Groitzsch wurde der aktuelle Stand der Alternativen zur konventionellen Ferkelkastration aufgearbeitet. Entsprechend der Bedeutung dieses Themas traf es auf eine hohe Akzeptanz der teilnehmenden Zuhörer aus der Praxis. Die wichtigsten diskutierten Punkte werden im Beitrag zusammengefasst.
Das Thema des Sächsischen Schweinetages am 27.10.2010 in Groitzsch wurde bewusst nicht an den Anfang und nicht an das Ende einer Diskussion gelegt, die vieles in der deutschen Schweineproduktion verändern könnte. Bereits vor über einem Jahr haben sich der Deutsche Bauernverband (DBV), der Verband der Vieh- und Fleischwirtschaft sowie der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels gemeinsam für die Abkehr von der konventionellen Kastration der Eberferkel ausgesprochen. Als Alternative wurde von Anfang an die Jungebermast diskutiert. Mit dem nur als Zwischenlösung gedachten Schmerzmitteleinsatz sollte dringend benötigte Zeit geschaffen werden um den Druck aus der z. T. unsachlichen Tierschutzdiskussion zu nehmen. Denn diese kann Verwerfungen am Markt für Ferkel und Schlachtschweine provozieren. Zeit ist dringend erforderlich, weil das Ziel eines alternativen Verfahrens noch lange nicht erreicht ist. Zur Haltung von Mastebern mit moderner Genetik wurden mittlerweile auch Erfahrungen unter den Erzeugungsbedingungen der neuen Bundesländer gesammelt.
Der Einladung des LFULG in Zusammenarbeit mit dem MSZV waren etwa 150 Besucher aus den Schweine haltenden Betrieben, Berater, Firmen und Behördenvertreter sowie Auszubildende und Studenten gefolgt. Auf einer Firmenausstellung während der Veranstaltung präsentierten sich über 21 Firmen mit ihren Produkten zur genannten Thematik. Auch im Vorfeld der dargestellten Fachthemen fand die Auszeichnung der Sieger im Landeswettbewerb tiergerechte Haltung durch Frau Bugner (SMUL), Herrn Eichkorn (LFULG) sowie Herrn Dr. Thalheim (MGV) statt. Unter Federführung des Mitteldeutschen Genossenschaftsverbandes wurde auch in den Landeswettbewerb 2010 die dafür nicht unbedingt prädestinierte konventionelle Schweinehaltung einbezogen. Am Ende konnten drei Betriebe ausgezeichnet werden, was als ein aktiver Beitrag zur ‚Imagepflege’ der gesamten Branche verstanden werden soll. Dr. Thalheim wies ausdrücklich darauf hin, dass den Betrieben diese wichtige Aufgabe, der Pflege der Außenwirkung, niemand abnehmen kann. Sie ist nicht nur für das Zusammenleben von in der Landwirtschaft tätiger und nicht tätiger Bevölkerung, sondern auch für die Akzeptanz bestehender und zukünftiger Tierhaltungsanlagen sowie der erzeugten Produkte von Bedeutung.
Die möglichen Konsequenzen der Einführung der Ebermast in Deutschland hängen in hohem Maße vom Verbraucherverhalten ab. Damit unmittelbar verbunden ist die Frage, ob ein höherer Standard im Tierschutz am Markt honoriert wird und/oder ob das Auftreten von möglichen Fleischqualitätsproblemen toleriert werden kann. Annabell Franz, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Agrarmarketing (Departement für Agrarökonomie der Universität Göttingen) stellte in Ihrem Vortrag zur ‚Einstellung des Verbrauchers zum Tierschutz’ u. a. Studien zum Käuferverhalten vor. Der Verbraucher ist heute in weiten Teilen der Bevölkerung (in großen Städten noch mehr als auf dem Land) von der Landwirtschaft entfremdet. Die Nutztierhaltung wird aus der ‚Haustierperspektive’ gesehen. Diese Sichtweise dominieren Gefühle. Das macht es auch sehr schwierig Fleisch als Produkt ‚ehrlich’ zu bewerben, weil auch Schlachtung und Verarbeitung zum Erzeugungsprozess dazu gehören. Dazu kommt, dass Fleisch an sich ein relativ ‚schlechtes Brachenimage’ hat. Zum Tierschutz haben die meisten Verbraucher eine Meinung, 40 % sind tierschutzorientiert. Bekennntnisse und Zahlungsbereitschaft des Verbauchers für aufwändiger erzeugte Produkte sind aber offensichtlich zwei verschiedene Punkte. So kommt es, dass am sogenannten ‚point of sale’ (Ladentheke) nur etwa 20 % der Käufer evtl. bereit sind auch tatsächlich mehr zu bezahlen. Diese 20 % sind aber ‚nur’ das Potential, dass erst durch bessere Werbung und Verbraucheraufklärung erschlossen werden muss. Denn die heute realisierte Nachfrage nach solchen Produkten ist mit etwa 3 % noch viel geringer. Zur Zeit spielt das Thema am Markt aber fast keine Rolle. Stattdessen lässt man zunehmend heftigere Mediendiskussionen zu, in der die Branche weitgehend abgetaucht
ist. Aus der Erfahrung der Vergangenheit heraus haben auf der anderen Seite auch die Tierhalter eine eher reservierte Meinung zu möglichen Animal Welfare Programmen. Nur 12,5 % stimmen einer Teilnahme uneingeschränkt zu, 70 % sind unentschlossen. Landwirte sehen den Tierschutz eher aus Sicht der haltungs- und managementbezogenen (indirekten) Kriterien (Platz, Klima, Stalleinrichtung, Versorgung, Betreuung, Hygiene) und berücksichtigen weniger tierbezogene (direkte) Faktoren (Tiergesundheit, Tierverhalten). Letztendlich werden Tierhalter bereit sein jede Form von zusätzlichem Tierschutz in den Ställen umzusetzen, wenn der ökonomische Nutzen den dafür erforderlichen Aufwand nachhaltig übersteigt. Das war mit allen Formen von Markenfleischprogrammen in der Vergangenheit leider nicht möglich. Bleibt zu hoffen, dass intelligentere Werbung und Verbraucheraufklärung zukünftig helfen werden höhere Erzeugungsstandards tatsächlich zu honorieren.
Die blutige Ferkelkastration ist eine Standardmaßnahme und quasi so alt wie die Schweinehaltung an sich. Sie war bislang die effektivste Maßnahme das ‚anstößige Herrenparfüm’ geschlechtsreifer Eber zu vermeiden. Wissenschaftler und Tierschützer sind sich aber heute einig, dass die operative Ferkelkastration keine Kleinigkeit ist, sondern ein erhebliche Eingriff, den man den Ferkeln zumindest ohne Betäubung nicht mehr zumuten sollte. Deshalb stellt sich zunächst aus wissenschaftlicher Sicht die Frage nach den Alternativen, die Dr. Daniel Mörlein vom Institut für Tierzucht (AG Produktkunde) darstellte. In einem von Dr. Mörlein betreuten Projekt werden mithilfe eines Experten- und Verbraucherpanels grundlegende Erkenntnisse zur sensorischen Bewertung von Eberfleisch gewonnen. Ebergeruch muss entweder vermieden oder er muss sicher erkannt werden. Da es bei dem ‚Abenteuer’ Ebermast zunächst ‚nur’ um die Vermeidung von Kastrationsschmerz geht, stellt sich die Frage, ob nicht die Schmerzausschaltung viel stärker in den Focus wissenschaftlicher Bemühungen gerückt werden sollte. Aus tierschützerischer Sicht problematisch ist, dass die zur Verfügung stehenden Schmerzmittel den operativen und postoperativen Schmerz nicht völlig ausschalten. Bei der Betäubung mit CO2 oder Isofluran sind die Ferkel während des Eingriffs nicht bei Bewusstsein. Der operative Schmerz ist dadurch völlig ausgeschaltet. Mit dem Aufwachen kommt aber der postoperative Schmerz zurück und die Ferkel sind zunächst benommen und erdrückungsgefährdet. Auch fehlt ihnen die Zeit der Narkose zur Milchaufnahme. Die in der Schweiz praktizierte Isofluranbetäubung funktioniert sicher, setzt aber in kleineren Betrieben den überbetrieblichen Einsatz eines ca. 8.000 € teuren Betäubungsautomaten voraus. Die in den Niederlanden praktizierte CO2 Betäubung ist dagegen auch wissenschaftlich bedenklich, wie neuere Studien beweisen. Bis zur Bewusslosigkeit nach 30 sec erleben die Ferkel einen ‚erstickungsähnlichen Zustand’ und sind deshalb einem erheblichen Stress ausgesetzt. Die Zucht gegen den Ebergeruch ist zwar möglichweise erfolgversprechend, braucht aber um unerwünschte Nebenwirkungen (Fruchtbarkeitsdepressionen) zu verhindern mindestens 10 Jahre und damit viel länger als aus heutiger Sicht zur Verfügung steht. Genauso wenig praxisreif ist das Spermasexing von Ebersperma. Deshalb bleiben zunächst nur die beiden Möglichkeiten entweder über die Impfung (beim Einstallen und 4 – 6 Wochen vor der Schlachtung) den Ebergeruch zu verhindern oder bei der Mast intakter Eber diesen zu akzeptieren. Die Impfung bietet zunächst eine relativ große Oberfläche zur negativen Kommunikation der Medien gegenüber dem Verbraucher. Auch wenn die Furcht vor Rückständen im Produkt aus wissenschaftlicher Sicht unbegründet ist, so kann sie doch erhebliche Konsequenzen für den Schweinefleischverzehr haben. Beide Varianten setzen aber Möglichkeiten zur Kontrolle bzw. Detektion von geruchsaufälligen Tieren voraus. Die mit viel Hoffnung erwartete ‚elektronische Nase’ wird es zumindest in näherer Zukunft nicht bzw. bei Schlachtbandgeschwindigkeit vermutlich nie geben. Hinzu kommt aber, dass sich subjektiv wahrgenommener Ebergeruch häufig gar nicht auf die beiden Substanzen Androstenon oder Skatol zurückführen lässt! Ebergeruch ist chemisch gesehen viel komplexer, was eine apparative Identifizierung grundsätzlich schwierig macht.
So werden zunächst weiterhin unterschiedlich sensible menschliche Nasen (ca. 40 %) den Ebergeruch detektieren müssen. Allgemein ist die wahrgenommene Intensität höher, wenn der Geruch korrekt identifiziert wurde. In wissenschaftlichen Tests (anonymer Test) wird Skatol immer abgelehnt, Androstenon nur, wenn es korrekt identifiziert wurde.
Die vom LfULG vorgestellten Versuche zur Mast intakter Eber zeigen, dass mit der intensiven Ernährung die Tiere heute relativ früh in die Pubertät kommen (60 – 70 kg Lebendgewicht) und dann, unabhängig vom Schlachtgewicht, etwa 20 % der Tiere subjektiv bewertet mit Ebergeruch auffallen. Frohwüchsige Tiere mit hohen Zunahmen waren dabei eher auffällig als Masteber mit geringeren Zunahmen. Die für Masteber vorzusehende Haltungstechnik muss der Tatsache Rechnung tragen, dass die Eber bis zur Pubertät den kastrierten Wurfgeschwistern in Futteraufnahme und Zunahmen hinterherlaufen. Mit der Geschlechtsreife drehen sich aber die Verhältnisse um und die Eber nehmen besser zu als die Börge. Es kommt also bei der Frage, ob Eber schneller oder langsamer wachsen als Kastraten, ganz entscheidend darauf an, wann die Pubertät eintritt und welches Schlachtgewicht vorgesehen wird. So sind die bundesweit unterschiedlichen Versuchsergebnisse vermutlich zu erklären. Bei 94 – 95 kg Schlachtgewicht waren die Zunahmeleistungen von Kastraten und Ebern (Wurfgeschwister!) in Köllitsch mit ca 800 g gleich hoch. Deutlich besser war jedoch der Futteraufwand der Masteber (- 0,3 bis 0,4!), der aber eine deutlich bessere Futterausstattung voraussetzt (1,3%-1,1,% Lysin, VM-EM). Die dabei entstehenden Kosten fressen den Vorteil des günstigeren Futteraufwandes z.T. wieder auf. Die Haltungstechnik muss darüber hinaus der größeren Aggressivität der Eber bei der Gruppenzusammenstellung und dem Futteraufnahmeverhalten Rechnung tragen. Fütterungssysteme, bei dem jedes Tier einen Fressplatz hat sind eher geeignet.
Systeme mit weitem Tier-Fressplatz-Verhältnis müssen im Buchtenaufaufbau zumindest anders angeordnet werden als bisher. Das Problem mit den Festflächen wird in den Praxisbetrieben wieder höher zu bewerten sein. Im Warmstall ist es nicht sicher zu lösen. Die gemischt geschlechtliche Aufstallung zeigt im Verhalten der Masteber einige Vorteile, in der Leistung bislang jedoch nicht. Die bislang ausgewerteten weiblichen Schweine scheinen in den Zunahmen eher unter den Ebern zu leiden. Schlachtreife Eber wachsen vermutlich abhängig vom Fütterungsverfahren viel stärker auseinander als Börge. Deshalb muss zum Ausstallen noch genauer sortiert werden. Um im Durchschnitt der Betriebe die gleiche oder bessere Produktivität zu erreichen müssen die Eber eherschwerer (älter) als leichter (jünger) geschlachtet oder besser bezahlt werden und nicht umgekehrt. In den Köllitscher Versuchen wird den Mastebern mittels FOM ein etwa 2 % höherer Muskelfleischanteil bescheinigt. Dieser beruht gemessen am Fleischmaß nicht unbedingt auf mehr Fleisch sondern auf deutlich weniger Fett. Das ermittelte FOM Speckmaß (13,7 mm) wird im Bezug auf den Handelswert eher ungerechtfertigt hoch bewertet, so dass auch entscheidend ist, welches Klassifizerungsverfahren angewendet wird oder wie die Klassifizierungsverfahren weiter entwickelt werden.
Die Entwicklung von Schätzformeln sind das Hauptarbeitsgebiet von Dr. Michael Judas vom MRI, Institut für Sicherheit und Qualität bei Fleisch aus Kulmbach. Zuletzt wurden die gängigen Schätzformeln für in Deutschland zugelassene Klassifizierungsverfahren für 5 verschiedene Kreuzungstypen aufwändig überprüft. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass der tatsächliche Fleischanteil vor allem bei Pietrainkreuzungen auf den Schlachthöfen unterschätzt wurde.
Verzerrungen zwischen Typgruppen (Genotypen) können nicht völlig beseitigt werden. Diese gefundene Unterschätzung war bei der vollautomatischen Auto-FOM Klassifizierung allerdings noch am geringsten. Im Vortrag zur ‚Geschlechtsabhängigen Schlachtkörperbewertung’ wurde deutlich, dass Eber morphologisch deutlich anders als die beiden anderen Geschlechter zu sehen sind. Eber haben 9 % mehr Kopf , 10 % weniger Bauch, 5 % mehr Schulter und etwas mehr Schinken und Kotelett. Bei höherem Knochenanteil haben sie aber insgesamt einen 1 – 2 % höheren Anteil wertvoller Teilstücke. Auch die Entwicklung einer Eberformel erfordert eine praktische Prüfung über Zerlegung und Computertomographie, bevor eine gesetzlichen Grundlage für die Klassifizierung von Ebern geschaffen werden kann. Die Verzerrungen zwischen Börgen und Sauen sind zwar erfreulich gering aber Eberschlachtkörper dürfen trotzdem nicht mit den selben Formeln geschätzt werden.
Zum Schluss des Tages wurden biologische und wirtschaftliche Leistungen von Mastebern in Praxisbetrieben von Matthias Otto, von der Mitteldeutschen Schlachtvieherzeugergemeinschaft w.V, in Altenburg vorgestellt. In der Praxis sind Versuche mit gegen Ebergeruch geimpften Tieren nicht ganz einheitlich im Ergebnis. Die Impfung funktioniert zwar sicher und die Zunahmen sind auch durchweg besser als die der Kastraten. Je nach Haltungs- und gesundheitlichen Bedingungen können die Verluste gegenüber chirurgisch kastrierten Tieren aber höher sein und der Muskelfleischanteil ist geringer als der intakter Eber. Denn die zweite Impfung 4 bis 6 Wochen vor der Schlachtung führt zu ruhigeren Tieren, die aber fressen wie die Eber und dadurch auch Gefahr laufen, Speck anzusetzen wie ‚echte’ Kastraten. Hier müssen Haltungs- und Fütterungsverfahren entsprechend eingestellt und auch die Impfzeitpunkte nochmal genauer überprüft werden. Was aber bleiben wird ist ein höherer Aufwand für die noch nicht genau erfasste Arbeit und die Kosten für die Improvac Spritze von 4 €. Im kalkulierten wirtschaftlichen Ergebnis waren die intakten Eber etwas besser als die geimpften und gleich gut wie die weiblichen Tiere. Subjektiv bewertet waren die Masteber zu fast 50 % geruchsauffällig.
Quelle: Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, Abteilung Tierische Erzeugung, Köllitsch, Sachsen