29.01.2014rss_feed

Spagat für den Tierarzt: Tierschutz versus ökonomisches Interesse?

Zum Auftakt des 7. Leipziger Tierärztekongresses (16. bis 18. Januar 2014) widmete sich eine Podiumsdiskussion dem Thema Moderne Nutztierhaltung: Der Tierarzt im Spannungsfeld zwischen Verbraucherschutz, Ökonomie und Ethik. Welche - durchaus kontroversen - Diskussionsansätze zur Sprache kamen, erläuterte der Moderator der Auftaktveranstaltung Prof. Dr. Karsten Fehlhaber im Interview.


Prof. Dr. Karsten Fehlhaber im Interview zur Auftaktveranstaltung des 7. Leipziger Tierärztekongresses

Bis 2011 Direktor des Instituts für Lebensmittelhygiene an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, wurde Prof. Dr. Karsten Fehlhaber im letzten Jahr für sein Lebenswerk im Bereich Verbraucherschutz, Lebensmittelsicherheit sowie Hygiene mit der Hans-Jürgen-Sinell-Medaille der Heinrich-Stockmeyer-Stiftung ausgezeichnet. Anlässlich seiner Moderation der Auftaktveranstaltung zum 7. Leipziger Tierärztekongress (16. -18. Januar 2014) Moderne Nutztierhaltung: Der Tierarzt im Spannungsfeld zwischen Verbraucherschutz, Ökonomie und Ethiksprach er vorab über Massentierhaltung, Tierschutz und Lebensmittelsicherheit.

Herr Prof. Fehlhaber, mit dem Thema der Auftaktveranstaltung Moderne Nutztierhaltung: Der Tierarzt im Spannungsfeld zwischen Verbraucherschutz, Ökonomie und Ethik wird ein heißes Eisen angefasst. Gerade die Massentierhaltung steht in der öffentlichen Kritik. Ist diese Skepsis gerechtfertigt?

Die Massentierhaltung steht vor allem deswegen häufig in der öffentlichen Kritik, weil – und das nicht selten zu Recht – Defizite in Bezug auf das Tierwohl und den Tierschutz gesehen werden. Beides hat allerdings nicht vordergründig mit der Größe des Tierbestandes und der Tierkonzentration zu tun. Wichtiger für die Sicherung einer tiergerechten Haltung ist ein gutes Management im Betrieb, das für entsprechende Bedingungen wie Platz, geeignetes Klima, Stallausstattung oder Hygiene sorgt. Ein wichtiges Kriterium für tiergerechte Haltung ist die Tiergesundheit. Es zeigt sich besonders hier, dass trotz gleicher Haltungsform beziehungsweise Betriebsgröße auch bei hohen Tierkonzentrationen ein unterschiedlicher Gesundheitsstatus festzustellen ist. Demzufolge ist die Haltungsform also nicht allein ausschlaggebend für die Frage, wie das Tierwohl gesichert werden kann. Das Problem ist vielschichtig, so dass sich eine differenzierte Betrachtung erforderlich macht, denn eine Rolle spielen hierbei zum Beispiel auch die Eignung der Rassen und die Zuchtziele, die verfolgt werden. So ist der extreme Muskelansatz bei Mastputen Ursache für bestimmte gesundheitliche Probleme, die vor allem aus Tierschutzgründen vermieden werden müssen.

Eine Abschaffung der Massentierhaltung ist zur Problemlösung ungeeignet, denn der Bedarf an vom Tier stammenden Lebensmitteln ist sehr hoch und könnte allein durch kleinbäuerliche Haltung in keiner Weise gedeckt werden. Zuwiderlaufende Interessen oder scheinbar zuwiderlaufende Interessen, die in dem erwähnten Spannungsfeld zum Ausdruck kommen, machen die Problematik tatsächlich zu dem von Ihnen erwähnten heißen Eisen. Es begegnen sich in dieser Diskussion oft emotionale und wissenschaftliche Argumente; das erhöht die Brisanz der Thematik, denn nicht nur die sachlich-fachlichen Ansprüche sind berechtigt – auch die ethisch begründeten Forderungen der Verbraucher müssen ernst genommen werden.

Unbestreitbar gibt es nicht nur Probleme, sondern auch deutliche Fortschritte. Ein gutes Beispiel dafür ist die Verbesserung der Legehennenhaltung durch das Käfigverbot bei gleichzeitig erfolgreichem Zurückdrängen der Salmonellenbelastung in den Legehennenbeständen der Bundesrepublik während der letzten Jahre.

Können Sie eine Entwicklung in der öffentlichen Diskussion erkennen? Gab es in den letzten Jahren eine Veränderung – hin zu einem grüneren Lebensstil und wie wirkt sich dieser gegebenenfalls aus? Wie bewerten Sie diese Änderung?

Fortschritte in der Diskussion sind kaum auszumachen, wenn man die in der Öffentlichkeit immer wiederkehrenden Berichte über Negativereignisse zum Beispiel in Bezug auf tierquälerische Haltung, Transport oder Schlachtung (Betäubung) sieht und die Gefahr der unzulässigen Verallgemeinerung kaum beeinflussen kann. Nichtsdestoweniger ist dadurch in den letzten Jahren ein zunehmender Druck auf die Tierhalter, Tierzüchter, Lebensmittelproduzenten und nicht zuletzt auf die in diesen Prozessen involvierten Tierärzte entstanden, der immer mehr dazu führt, sich dieser Problematik konsequenter anzunehmen. Dies kann als Fortschritt gewertet werden. Es wurden Forschungsprogramme initiiert, die sich mit der Optimierung der Tierhaltung, der Verbesserung der Tiergesundheit und des Verbraucherschutzes, zum Beispiel durch Reduzierung des Antibiotika-Einsatzes bei Nutztieren oder tierschutzgerechte Schlachtung, befassen. Ein höherer Standard im Tierschutz wird in der Tendenz eine höhere Investition in der Landwirtschaft voraussetzen. Das wiederum setzt höhere Lebensmittelverkaufspreise voraus, deren Ergebnisse auch wirklich beim Landwirt ankommen müssen.

Der Trend zu einem grüneren Lebensstil ist meines Erachtens erkennbar. Der Anteil des ökologischen Landbaus hat laufend zugenommen, ist aber im Vergleich mit dem konventionellen Landbau immer noch gering: 5,5 Prozent der Betriebe sind Öko-Betriebe, unter 1 Prozent des produzierten Geflügel- und Schweinefleisches ist Öko-Fleisch, Öko-Milch liegt bei 2 Prozent. Wenn sich dieser Trend darin ausdrückt, dass damit eine nachhaltigere Nutzung der Natur und Umwelt, eine ausgewogene Betrachtung der Stoffkreisläufe und ein Streben nach hohen Tierwohlstandards verbunden sind, so ist dies unbedingt zu begrüßen.

Allerdings sind einseitige, beziehungsweise extreme Ansichten hier sehr kontraproduktiv. So trägt es nicht zur Lösung der Probleme einer gesunden Ernährung bei, wenn einseitig allein die Versorgung mit Öko-Produkten gefordert wird und die heute qualitativ sehr hochwertigen und sicheren konventionell und industriell erzeugten Lebensmittel indirekt diskreditiert werden.

Wo kann und muss sich ein Tierarzt zwischen berechtigten ökonomischen Interessen der Lebensmittelproduzenten und den nicht weniger berechtigten Tierschutzinteressen positionieren? Welche Rolle muss der Lebensmittelsicherheit zukommen?

Aufgrund seiner Ausbildung überblickt der Tierarzt in kompetenter Weise die gesamte Kette der Lebensmittelerzeugung, beginnend beim lebenden Tier bis hin zum Verbraucher. Insofern kann und muss der Tierarzt in diesem teilweise komplizierten Spannungsfeld Position beziehen und helfen, Lösungen auf den Weg zu bringen. Vor allem kommt es darauf an, zu verdeutlichen, dass ökonomische Interessen und Anforderungen an den Tierschutz und die Lebensmittelsicherheit im Grundsatz keine sich direkt widersprechenden Forderungen darstellen. Tierschutzwidrige Haltung beeinträchtigt häufig die Tiergesundheit; diese wiederum ist Voraussetzung für die Erzeugung gesundheitlich unbedenklicher Lebensmittel. Wo liegen hier grundsätzlich gegenläufige Interessen vor? Der Tierarzt ist zum Beispiel auch aus amtlicher Sicht für die Kontrolle des Tierschutzes im Bestand und auf dem Schlachthof zuständig. Dazu gilt es, belastbare Kriterien, die messbar und wissenschaftlich begründet sind, auszuarbeiten – eine Aufgabe, die besonders von Tierärzten gelöst werden kann.

Stärker noch als bisher muss bei der Weiterentwicklung von Tierhaltungssystemen neben der Wirtschaftlichkeit und dem Tierwohl der Lebensmittelsicherheit Rechnung getragen werden. Dazu zählen zum Beispiel der Infektionsschutz und die Bekämpfung des latenten Vorkommens von Zoonoseerregern in den Tierbeständen. Nicht immer sind dabei Anforderungen des Tierwohls mit denen der Lebensmittelsicherheit komplett vereinbar. So erlaubt die erwünschte Freilandhaltung der Tiere keinen so sicheren Schutz vor Infektionen wie das bei geschlossenen Ställen der Fall ist. Vielfach bieten sich dann nur Lösungen an, die Kompromisse darstellen. Das ist unumgänglich, denn die gesamte Tierhaltung würde ja in Frage gestellt, wenn am Ende das erzeugte Produkt für den Konsumenten nicht sicher ist.

Welche Anforderungen stellen Sie, als ehemaliger Direktor des Instituts für Lebensmittelhygiene der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig, an die Veterinärmediziner in den nächsten Jahren?

Aus der Sicht meines Fachgebietes muss der Veterinärmediziner auch künftig über eine breite und wissenschaftlich fundierte Kompetenz in der Lebensmittelüberwachung mit dem Ziel des Verbraucherschutzes verfügen. Insbesondere der gesundheitliche Verbraucherschutz erlangt eine immer größere Bedeutung. Das basiert nicht nur auf der weiteren Globalisierung der Warenströme, sondern besonders auf dem deutlich gestiegenen Bedarf an gesundheitlicher Sicherheit beim Verbraucher. Das Thema unserer Auftaktveranstaltung verdeutlicht, dass der Tierarzt in der gesamten Kette der Lebensmittelerzeugung über anwendungsbereites Wissen und Erfahrung verfügen muss. Zu diesen Anforderungen zähle ich auch die Überzeugung, sich dem Tierschutz verpflichtet zu fühlen und zu Fortschritten auch im Nutztierbereich beizutragen; dementsprechend sollten alle Ausbildungsstätten diese Fachdisziplin noch stärker entwickeln.

Die Auftaktveranstaltung zum Leipziger Tierärztekongress bietet die gesamte Bandbreite der Diskussion. Welche Aspekte erwarten Sie mit besonderer Spannung?

Die fünf Einführungsvorträge werden aus unterschiedlicher Sicht das Spannungsfeld, in dem sich der Tierarzt heute in der Nutztierhaltung befindet, in ihrer Vielschichtigkeit beleuchten: nämlich aus Sicht des Praktikers, des Ethikers, des Tierschützers und des Verbraucherschützers. Mit Sicherheit werden wir eine interessante Einsicht in die mitunter wohl schwierige Gratwanderung des Tierarztes bei der Bewältigung der sich manchmal wirklich oder scheinbar widersprechenden Aufgabenvielfalt erhalten. Ich hoffe, dass in der Diskussion Lösungsansätze sichtbar werden für Fragen, die uns Tierärzte betreffen, zum Beispiel: Wie viel Ethik lässt der Markt zu? Welche Grenzen und Möglichkeiten der Einflussnahme hat der Praktiker? Gibt es ein Primat des Verbraucherschutzes? Können die wirtschaftlichen Gesichtspunkte den Tierschutzanliegen nachgeordnet werden? Benötigen wir einen hippokratischen Eid für Nutztierpraktiker?

Quelle: Leipziger Tierärztekongress