Tierschutzplan Niedersachsen - Konsequenzen für die Tierhaltung
Den Verbrauchern werden heute qualitativ hochwertige Lebensmittel in großer Vielfalt zu niedrigen Preisen angeboten. Trotz bereits hoher Standards hinsichtlich Tier- und Umweltschutz werden die Produktionsmethoden der Nutztierhaltung - auch aus Gründen der zunehmenden Entfremdung zwischen Verbrauchern und Landwirtschaft - heute zunehmend kritisch hinterfragt und undifferenziert mit Schlagwörtern wie industrielle Massentierhaltung
, Agrarfabriken
sowie Qualzuchten
oder Kannibalismus
in Verbindung gebracht. Fragen der Tiergerechtigkeit in der modernen Tierhaltung bekommen einen zunehmend höheren Stellenwert. Meinungsbildner sind dabei häufig nicht Landwirte oder ihre berufständischen Organisationen, sondern vielmehr Tierschutzorganisationen oder Medien.
Mit dem Tierschutzplan Niedersachsen hat die Politik dieses Thema aufgegriffen und sich in einem 38-Punkte-Plan in zwölf Tiergruppen die Verbesserung des Schutzes von Nutztieren auf die Fahne geschrieben. Das Ziel sind gesellschaftlich akzeptierte, vom Tierhalter leistbare Haltungsbedingungen für Nutztiere, die das Tierwohl sicherstellen, sowie das Vertrauen des Verbrauchers in die Produkte stärken.
Unter Einbeziehung aller maßgeblich Beteiligten soll eine Lösung in dem Konfliktfeld als breiter gesellschaftlicher Konsens in Bezug auf die einzelnen Kritikpunkte erreicht werden. Unter Leitung von Minister Gerd Lindemann und Frau Dr. Maria Dayen, Mecklenburg-Vorpommern, sind neben berufsständischen Organisationen, der Wirtschaft und der Wissenschaft auch der Tierschutz, der Lebensmitteleinzelhandel, die Kirche und die Verbraucherzentrale im Lenkungsausschuss einbezogen. Die Erfassung tierschutzfachlicher Kritikpunkte an den derzeitigen Tierhaltungen und Optimierungsmaßnahmen mit einem definierten Zielzeitpunkt sind die Kernelemente des Tierschutzplanes. In sieben Facharbeitsgruppen, in denen die Landwirtschaftskammer Niedersachsen jeweils vertreten ist, werden konkrete Arbeitsplanungen erstellt, die anschließend in Pilotbetrieben in der Praxis erprobt werden. Die Erfahrungen werden ausgewertet und ihre Verwendung als Standard für alle als fachliche Praxis transferiert.
Im Einzelnen geht es im Tierschutzplan Niedersachsen um die Optimierung von Haltungsbedingungen, die Vermeidung von Eingriffen am Tier sowie Zusatzmaßnahmen betreffend Tiertransporte, Schlachten/ Betäuben/ Schächten, Arzneimitteleinsatz und die Einführung eines Tierschutzlabels.
Dieser rasante Kurswechsel der Politik wird unsere Tierhaltung nachhaltig verändern:
Die Optimierung von Haltungsbedingungen führt zum Teil zu einem hohen Investitionsbedarf und wird den derzeitigen Strukturwandel in der Tierhaltung nochmals beschleunigen. Abhängig von den gesetzlichen Vorgaben in den europäischen Nachbarländern ist ein höherer Import zu günstigeren Konditionen wahrscheinlich. So äußerte sich jüngst EU-Gesundheitskommissar John Dalli, dass Eier, die nach dem 1. Januar 2012 noch in Legebatterien produziert werden und damit gesetzeswidrig sind, in dem betroffenen EU-Mitgliedstaat wahrscheinlich zumindest zur Verarbeitung genutzt werden dürften. Für deutsche Legehennenhalter gilt das Verbot der Käfighaltung seit dem 01.01.2007 uneingeschränkt. Seither ist der Selbstversorgungsgrad mit Eiern auf rund 60 Prozent gesunken und günstigere Eier werden importiert.
Bei der Vermeidung von Eingriffen am Tier wirft der Verzicht auf die betäubungslose Kastration von Ferkeln einerseits Fragen der Wirtschaftlichkeit auf, andererseits gibt es bereits entsprechende Marktreaktionen. So verwendet McDonalds Deutschland seit 2011 kein Schweinefleisch mehr, das von kastrierten Tieren stammt.
Auch der Ausstieg aus dem betäubungslosen Enthornen von Kälbern wird weit reichende Folgen für unsere Rinderhalter haben. Während die Betäubung durch den Landwirt auf Grenzen im Arzneimittelrecht stößt, hätte die - zwar theoretisch mögliche - Zucht auf Hornlosigkeit, für die heute bereits wenige Bullen bekannt sind, Inzuchtdepressionen, Genverlust und Leistungsrückschritt in anderen Merkmalen zur Folge.
Für das Auftreten von Kannibalismus gibt es aktuell keine praxistauglichen Lösungsansätze. Derzeit ist das Kupieren der Schwänze von Ferkeln und die Kürzen der Schnabelspitze bei Puten und Legehennen das wirkungsvollste Instrument zur Vermeidung von Kannibalismus. Da es sich um multifaktorielle Geschehen mit zahlreichen möglichen Auslösefaktoren handelt, sind Versuche dazu nur schwer umsetzbar. Die Vermeidung dieser Eingriffe am Tier hat möglicherweise weit reichende Änderungen der Haltungsbedingungen zur Folge.
Durch die Erarbeitung von Tierschutzindikatoren sollen Rückschlüsse auf die Tiergesundheit und die Tierhaltungsbedingungen möglich sein. Dem Tierhalter und sicherlich auch den Behörden können damit Hinweise auf Mängel und Optimierungsbedarf gegeben werden. In der Folge kann zwar einerseits das Tierwohl und die Leistung gesteigert werden, andererseits entstehen dadurch wiederum auch höhere Kosten, die es zu verteilen gilt.
Schließlich sei das Thema Zucht genannt. Die Selektion auf schnellwüchsige Rassen mit einer Prädisposition für Gesundheitsstörungen bei Masthähnchen und Puten sowie die zu geringe Lebenszeit und die gehäuften Euter- und Klauenerkrankungen bei Milchkühen werden in dem Tierschutzplan Niedersachsen thematisiert. Dies trifft in einigen Betrieben in der Praxis zu, aber es gibt auch genügend Spitzenbetriebe, die durch ein gutes Management diese Zusammenhänge widerlegen. Eine geänderte Zuchtauswahl in Richtung Gesamtvitalität
würde aufgrund Leistungsbegrenzungen und zusätzlicher zu beachtender Merkmale insgesamt zu einem geringeren Zuchtfortschritt und zu höheren Züchtungskosten führen.
Fazit
Fragen der Tiergerechtigkeit in der modernen Tierhaltung werden aktuell zunehmend diskutiert. Der Tierschutzplan Niedersachsen greift diese Diskussion auf und möchte unter Einbeziehung aller maßgeblich Beteiligten einen breiten gesellschaftlichen Konsens erreichen. Das Tierwohl oder die Tiergerechtheit werden einen höheren Stellenwert erreichen und einerseits das Vertrauen bzw. die Akzeptanz der Verbraucher in die Produkte stärken. Andererseits werden deutliche strukturelle Veränderungen der landwirtschaftlichen Tierhaltung erwartet.
Kontakt:
Dr. Ludwig Diekmann
Leiter Fachbereich Tierzucht, Tierhaltung, Versuchswesen Tier, Tiergesundheitsdienste
Telefon: 0441 801-635
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M. Sc. agr. Yvonne Konersmann
Tierzucht, Tierhaltung
Telefon: 0441 801-608
Telefax: 0441 801-634
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(LWK Nds.)